WENN DU ÜBER DIE BRÜCKE GEHST
„Was groß ist am Menschen, das ist, dass er eine Brücke und kein Zweck ist: was geliebt werden kann am Menschen, das ist, dass er ein Übergang und ein Untergang ist." (F. Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Vorreden)
Wenn du über die Brücke gehst dann denk an mich. Wenn du über die Brücke gehst Begleite ich dich.
Zwischen den Bauten brückt sie Deren keiner uns bergen kann. Über den Fluss hin führt sie hält uns im Übergang.
Noch Bank und Bücher stehn uns auf der Brücke wo die Liebe ruht und wir schauen. Und alles Handwerkszeug noch auf der Brücke um neue und kühnre zu bauen.
Sooft du über der Brücke stehst – viel Brücke ist nie gegangen und niemals angefangen wenn du über die Brücke gehst.
(1967)
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FERIENNACHT
Schließe mir doch die feiner fühlende Hand wieder zur Faust dass nicht die Blüte dem Mondlicht geöffnet bleibt. Vollmondnacht wehe die nicht den Schaffenden sondern den Kostenden weckt. Gleißender Kälte und Leere drohn. Weit ist der Freund hinter Faustwerk Mauern und Schloss da du ihn tiefer suchst wenn du ruhst und du tiefer verzweifelst.
Und Heiliger Du unsagbar nah oder fern.
(1970)
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WÄHLEN WIR
Gemeinsam
in den Geheimnissen stehn
oder vertrocknen
oder zerbrechen.
Wählen wir
als Erwählte
uns nicht zu schonen.
Denn die Geheimnisse schonen uns nicht.
(1971)
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SCHÖPFUNGSWORTE
Ich hab es von dir empfangen du von mir wie du sagst. Wir schöpfen unsre Geschenke aus Meeren die im Schöpfungswort sich vom Trockenen scheiden.
(1972)
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SPRACHLOS
Den zehnten Brief beginn ich dir heute. Ob er wieder zerreißt bestenfalls eingeht ins Bruchtagebuch der Monologe? Wer schenkt mir die Sprache wieder den Worten Flügel und Zwischenraum aus Vertrauen?
(1972)
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WIE ABER?
Auf Züge warten wie aber wissen welcher wohin?
Worte formen wie aber hören zu welchem Sinn?
Freunde aufsuchen wie aber wen fragen wer ich dir bin?
(1972)
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ÜBERRASCHUNG
Du warst da auf Anruf hin. Nichts ist weniger selbstverständlich außer dass du mir zuvorkamst.
Auf dich warte ich wie aufs Frühstück das morgendlich ohne Ermüdung stärkt. Verlässlich überrascht es mit neuem Tag.
Dein Blick wäscht Wolken die abschiedsgeweckten zu rein vergangnen. Und Zukunft gewinnt unsere Gegenwart.
(1976)
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BRIEFE
Deine Briefe zur Süße kauen
wie das Abendmahlsbrot
wie wir miteinander aßen
und unser Atem ein Geist war.
Unausgeschöpft liegen die Tage versunkene Schiffe auf ihrer ersten Fahrt die Blicke die Augenblicke auf nie ergründetem Grund.
Trauer der Zeit. Kein Warten erlöst. Wie du aber danke schreibst fass ich Hoffnung und lasse Ewigkeit ein die Fülle kauend: Stoffwechsel mit der Natur kommender Worte – und danke.
(1977)
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GLÜCK DER VERSÖHNUNG
Die Ferne erlaubt das Glück der Versöhnung lange zu kosten. Einmütig fort spricht das Schweigen. Einverständnis heißt das wortlose Geheimnis Welt in das wir horchen aus dem wir sprechen gerade genug um nicht darin unterzugehen am Ende auf offener See nach geglückter Rettung.
(1977)
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NACHTWACHE
Mitternachts wach ich suche ein Wort für dich von vielen die unter die Räder gefallen.
Dich finden unter endlich gefundenem Dach. Wir werden dort atmen und Worte sammeln und vorläufig wie die Hoffnung sie wie alles vertiefen.
(1977)
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WOHNUNGSSUCHE
Du hast Wohnung in mir genommen sagst du. Aber du tust es. So besessen irre ich ruhelos in Exilen. Wo den Kopf hinlegen wenigstens zum Vergessen?
Du sprichst betest denkst aus mir schreibst du. Und besetzt meine Gedanken. Aber das Schweigen das Meer – wie ihm ein Stück Land abgewinnen und darauf bauen?
(1978)
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MANCHMAL AUFERSTEHUNG
Manchmal gelingt ein Wort das über springt aus Schicksalsfunken von beiden. Der Stromkreis schließt sich zu sterbloser Einheit. Nähe der Geschiedenen Unterschied der keiner ist Unerschied der allein ist zwischen dir und mir. Manchmal feiern wir ihn und Auferstehung des Ungesagten aus Ferne aus unseren Tiefen und allerhand Schicksal.
(1978)
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MENSCHEN WIE DU
Nicht ins Leere stieren sondern auf Schönheit wie du sie mir wieder zeigst. Die Plätze bei Licht besehen und Ecce homo: Seht da der Mensch wie du.
Die zweibeinigen Herdentierschemen beleben sich je einzeln unsterblich sterbend. Wir morden sie vorweg augenlos millionenfach. Mangel an Liebe an Denken.
(1978)
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DA IST SIE WIEDER
Auf dem Bahnhof ins Weite wird eine Gestalt sekundenlang zur Gestalt der deinen. Ein Blitz zwischen Innen und Außen. Da ist die Liebe wieder steigt ungefragt aus der Verbannung mit in den Zug. Guter böser Engel da ist er wieder und sinnschwer dein Lächeln vor mir.
(1979)
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ANGST VOR GLÜCK
Deine Angst damals als ich dir nahe kam erstmals wie wir ersehnten Angst vor dem Untergehen der alten Welt ins fragile Glück einfachhin. Angst vor Glück wenn die Würfel zu ihm schon gefallen - bin ich ein falscher Spieler? – vor der entscheidenden Überfahrt wie wir vielleicht nur noch eine erleben erleiden ersehnen.
(1985)
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GLÜCKWÜNSCHE
Was ich dir wünsche?
Mich
dich wünschend
alle Tage.
Da nimm es
zum Werden
alle Tage –
das unfertige Gedicht ...
(1985)
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WENN DU NICHT WÄRST
Wenn du nicht wärst stünden die Sterne still jedenfalls meine guten.
Wenn du nicht wärst bliebe die Stadt chaotisch ein Trümmer- und Ameisenfeld bliebe mein Chaosohne ordnenden Ruf wüsste ich immer noch nicht was mit der Liebe ist ob Wahn oder wirklich.
Wenn du nicht wärst würde ich manche Schmerzen nicht kennen meine teuren Lebenslehrer und nicht die mir zukommenden Ängste.
Wenn du nicht wärst würde ich mich nur kennen und dieses schlecht dieses ewige Ich und Ich.
Wenn du nicht wärst wüsste ich von Verantwortung eigentlich nichts und alles Heilige wäre mir eigentlich nichts.
Wenn du nicht wärst – es wäre irgendein anderer irgendeine andere nur da.
(1987)
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BEIM WORT NEHMEN
Beim Wort nehmen willst du mich. Ist das sicherer als die Hand Zärtlicher als die Schulter Lustvoller als ein anderes Körperglied?
Es kommt darauf an auf das Wort. Nicht zu allen stehe ich gleich nicht alle halten gleich fest zu mir.
Manchmal ist da ein Wort woran du mich halten sollst selbst wenn ich über Abgründen baumle oder wegfliegen will. Ich nehm dich beim Wort.
(1989)
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WUNDER
Nicht müde werden, sondern dem Wunder leise wie einem Vogel die Hand hinhalten. (Hilde Domin)
Schon müde geworden blieb meine Hand immer noch eine Herzensantennehoffnungslos ausgestreckt nach dem Wunder
Da kommt es nieder es nimmt kein Ende Hände und Herz voll gibst du mir zu tun mich wach zu wundern den Rest eines neuen Lebens
(1990)
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ERWARTEN
Da sitz ich am Telefon ob der Blitz durchschlägt im mein Sorgenleben ob er die Drohgewölke teilt raumschaffend einer Sonne
sich zu spiegeln im See der heiteren Seelen worauf unsere Kähne sich stoßen bis wir zusammensitzen in einem einzigen Boot.
(1991)
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MEINER MYSTIKSCHWANGEREN
Wenn du plötzlich innehältst um das grüne Glück leuchten zu sehen mitten in der neuen Landschaft vom Allerheiligenseelentag oder um die geheime Kraft meiner Haut mit deinem Augenleuchten zu künden dann staune ich entwortet zurück meine werdende Mystikerin.
Freudig bringt dir sein Opfer mein mitten in Stolzesruinen kämpfender Intellekt sein sacrificium intellectus wie er vermeint. Noch ängstigt er sich vor dem vermeintlich einfachen Glück.
(1992)
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MUTTERS ZEICHEN
Entschlafene Mutter
es geht etwas von dir aus
von deinem entfesselten Blick.
Löse auch meinen Augen die Fesseln
meiner vielwissenden Ungeduld
und dies sei dein Zeichen:
Gib meinem Heimweh
die Richtung
und sei es die meiner Tränen.
So traf ich sie.
(1992)
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ALLES VORBEI (Reime ins Poesiealbum))
Wie du denkst es ist alles vorbei kommt manchmal leise das Neue herbei. Und das Vorbeisein geht vorbei.
Manche Fragegestalt kommt herbei wie zum Nachmittagskaffee ganz nebenbei. Die Meisten gehen bald wieder vorbei.
Die Wenigen aber kommen stets neu gerad weil du meinst jetzt ist alles vorbei bleiben sie leichthin dabei.
Mit einem allein wirst du am Ende – vom Vorbeisein ganz frei. Deine Schicksalsliebelei Johei.
(2003)
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